Unverzüglichkeitsgrundsatz bei Beendigungserklärungen durch den Dienstgeber
Insbesondere im Zusammenhang mit Entlassungen (aber unter gewissen Umständen auch bei Kündigungen von Arbeitsverhältnissen) wurde von der Rechtsprechung der sogenannte Unverzüglichkeitsgrundsatz herausgebildet. Die Beendigung muss zeitlich nahe zu dem auslösenden (die Beendigung begründenden) Ereignis ausgesprochen werden, da ansonsten eine Verfristung des Rechts zur Beendigung eintreten kann.
Im gegenständlichen Verfahren (OGH vom 25.06.2021, 8 ObA 36/21h) ging es um die Beurteilung der Rechtzeitigkeit einer Kündigung eines Vertragsbediensteten wegen Vertrauensunwürdigkeit.
Der betroffene Vertragsbedienstete war Heimleiter in einem Altenheim. Während des ersten Corona-Lockdowns hatte es der Heimleiter geduldet, dass weiterhin wohngruppenübergreifende Treffen der Bewohner zum gemeinsamen Singen, teilweise auch in geschlossenen Räumen, stattfanden. Weiters hatte der Heimleiter der Anordnung zur Schließung der Speisesäle nicht Folge geleistet und den Betrieb einer Cafeteria weiterhin aufrechterhalten.
Nachdem die genannten Vorfälle dem Dienstgeber bekannt geworden sind, wurde der Heimleiter ab Freitag, 8. Mai 2020 suspendiert. In diesem Zusammenhang wurde ihm ein mit 13. Mai 2020 (Mittwoch) befristetes Angebot zur einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses gestellt. Dabei wurde auch klargestellt, dass der Dienstgeber bei Nichtannahme die Kündigung aussprechen wird.
Der Heimleiter ließ die gesetzte Frist ohne Annahmeerklärung verstreichen. Daraufhin nahm der Dienstgeber nach Verstreichen der Frist Rechtsberatung in Anspruch. Verzögert wurde das Prozedere zusätzlich durch mangelnde Erreichbarkeit des Personalisten sowie durch das folgende Wochenende. Danach wurde der Betriebsrat über die Absicht zur Kündigung des Heimleiters verständigt. Nach der Äußerung des Betriebsrats wurde schließlich durch den Dienstgeber die Kündigung des Dienstverhältnisses gegenüber dem Heimleiter ausgesprochen.
Dienstgeber sind nach ständiger Rechtsprechung gehalten, Kündigungen, die an wichtige Gründe gebunden sind (wie auch Entlassungen) unverzüglich nach Kenntnisnahme des zugrundeliegenden Sachverhalts auszusprechen. Erfolgt dies nicht bzw. tritt eine (unvertretbare) Verzögerung auf Seiten des Dienstgebers auf, besteht die Gefahr des Verlusts des Rechts zur Beendigung.
Verzögerungen im Ausspruch der Kündigung von Vertragsbediensteten können nach der einschlägigen Rechtsprechung nur insoweit anerkannt werden, als sie (nach den Umständen des Falls) sachlich begründet sind. Dem Dienstgeber soll insbesondere das Recht zustehen, bei einem undurchsichtigen Sachverhalt mit dem Ausspruch der Beendigung so lange zuzuwarten, bis alle wesentlichen Tatumstände in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht geklärt und festgestellt wurden.
Der Unverzüglichkeitsgrundsatz entspricht der ständigen Rechtsprechung des OGH. Dieser Grundsatz darf aber nach den Ausführungen des OGH generell nicht überspannt werden. Nicht aus jeder Verzögerung könne demnach auf einen Verzicht des Arbeitgebers auf die Ausübung des Beendigungsrechts geschlossen werden. Vorläufige Maßnahmen, etwa die bis zur Klärung der tatsächlichen oder rechtlichen Lage vorgenommene Suspendierung eines Arbeitnehmers, sollen nach Ansicht des OGH die Annahme eines Verzichts verhindern können.
Die Rechtsprechung nimmt in diesem Zusammenhang auch auf die hierarchischen Strukturen bei juristischen Personen und insbesondere im öffentlichen Bereich Bedacht und berücksichtigt, dass in solchen Konstellationen die Willensbildung tendenziell langwieriger und umständlicher ist. Der erforderliche Aktenlauf und allfällige Kompetenzverteilungen wurden in diesem Zusammenhang auch als Rechtfertigung für eine Verzögerung anerkannt.
Unter Zugrundelegung der beschriebenen Kriterien kommt der OGH im konkreten Fall zur Ansicht, dass unter den festgestellten Umständen noch keine Verfristung des Kündigungsrechts eingetreten war und der Ausspruch der Kündigung des Dienstverhältnisses mit dem Heimleiter daher rechtzeitig erfolgt ist. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass das Angebot zum Abschluss einer einvernehmlichen Auflösung und die eingeräumte Bedenkzeit (im Ausmaß von fünf Tagen) nach der (im konkreten Fall durchaus dienstgeberfreundlichen) Ansicht des OGH die Frist des Dienstgebers für den Ausspruch der Kündigung verlängert haben, obwohl mit der Einholung der Rechtsberatung und dem weiteren Prozedere bis nach Verstreichen der Bedenkzeit zugewartet wurde.
Der Fall betrifft die Kündigung eines Vertragsbediensteten und kann wohl nicht 1:1 auf Entlassungen von anderen Arbeitnehmern umgelegt werden. In der Praxis gilt es – insbesondere im Zusammenhang mit Verfehlungen von Arbeitnehmern – entsprechend schnell zu reagieren, um den Einwand des Verzichts auf die Vornahme der Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglichst zu vermeiden. Insbesondere eine Suspendierung bzw. Freistellung vom Dienst unter Verweis auf notwendige Erhebungen zum Sachverhalt sind in der Praxis in den meisten Fällen ratsame Schritte (sofern ein Entlassungstatbestand nicht offenkundig vorliegt). Dem betroffenen Dienstnehmer kann (für eine gesichtswahrende Beendigung) auch der Abschluss einer Vereinbarung über die einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses angeboten werden. Eine allenfalls erforderliche Rechtsberatung sollte – trotz der gegenständlichen Entscheidung – tunlichst parallel dazu eingeholt werden, sodass nach Abschluss der Untersuchung und Ablauf der Bedenkzeit entsprechend schnell reagiert werden kann. Die Beendigung sollte dann – wenn die Untersuchung das Vorliegen der Voraussetzungen für die Beendigung bestätigt hat – umgehend ausgesprochen werden.
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